Kurzintro:
Die aktuelle Situation in Berlin hinsichtlich der Veränderung des öffentlichen Raums ist bisher vor allem durch Begegnungszonen und kleinere temporäre Interventionen geprägt. Das Projekt der “Berliner Begegnungszonen”, mit Modellversuchen in Maaßenstraße und der Bergmannstraße, wurden kontrovers diskutiert und konnten auch wegen ästhetischer und verkehrlicher Mängel keine breite Mehrheit überzeugen.
In der öffentlichen Wahrnehmung ist der Begriff “Parklet” in Berlin seitdem oft eher mit negativen Assoziationen und politischen Lagerkämpfen verbunden. Dennoch zeigen die Klimaextreme und neuen Ansprüche an den öffentlichen Raum in Zeiten von Lockdowns, dass solche temporären Anpassungen in der Stadt immer drängender werden und es eine neue Qualität bei Umsetzung und Genehmigung alternativer Nutzungen im Straßenraum geben muss. Neu ist die Debatte um “Flächengerechtigkeit”.
Teilnehmer:innen und Projekte:
Das 1. Parklets-Austauschtreffen von und für Stadtmacher:innen konnte die StadtWERKSTATT nutzen, um verschiedenste Formen temporärer, alternativer Nutzung und Aufteilung des öffentlichen (Straßen-)Raumes sichtbar zu machen, und eine Plattform zu schaffen, um zukünftige Projekte gemeinsam mit engagierten Akteur:innen aus der Verwaltung weiter voranzubringen. Mit Interventionen im Straßenraum kann lokal genauso spür- wie beeinflussbaren Klimaveränderungen konkret entgegengewirkt und durch die “Verkehrswende” neu auftuende Spielräume proaktiv und ohne Zeitverzug umgenutzt werden. Mit temporären Interventionen kann den Bürger:innen gezeigt und mit ihnen erforscht werden, wie die klimagerechte Stadt der Zukunft aussehen soll. Eine aktiv mitgestaltete Schwammstadt mit kurzen, sicheren und komfortablen Wegen auch für Kinder und Ältere, die Menschen durch lokale Entsiegelung und Begrünung bisheriger Parkplätze mehr Lebensqualität, Interaktions- und Bewegungsfläche im öffentlichen Raum bietet und Parklets als vorbereitende oder wandernde Maßnahme in der planerischen Toolbox zur Klimaanpassung und Schaffung von Umweltgerechtigkeit fest verankert und lernend umsetzt.
Mit Hilfe des Vorwissens der im Workshop vorgestellten Projekte und Interventionen können und sollen anstehende Transformationsprozesse im Anschluss fundierter und in aktiverer Kooperation gestaltet werden.
Die Projekte und zentralen Erkenntnisse werden im Folgenden noch einmal zusammenfassend dargestellt:
Terrassen für Vieles
Immo Janssen und Dirk von Schneidemesser (beide AKöR) stellen das Konzept der „Terrassen für Vieles“ im Rahmen der AKöR-Pilotstudie “Offene Straßen” vor. Diese sind ein Baustein der Menschen in Gebieten mit hoher baulicher Dichte, starker Versiegelung und wenig Grünflächen leben und damit besonders von den Einschränkungen der Corona-Situation betroffen sind, auch während der pandemischen Lage ein lebenswertes Umfeld ermöglichen soll. Dazu wurden von der AKöR in Kooperation mit dem DLR und dem IASS Potsdam verschiedene Varianten zur temporären Umgestaltung von Straßenraum erarbeitet.
Die Umsetzung diverser Elemente der Studie unterstützte den Bezirk darin, schnell sicht- und fühlbare Veränderungen durch kleine, kostengünstige und reversible Maßnahmen in aktiver Kooperation mit Betroffenen (z.B. in Spielstraßen) durchzuführen und das Prinzip des “Tactical Urbanism” im planerischen Methodenkoffer des Straßen- und Grünflächenamts (SGA) zu verankern.
Für Gastronomie- und seit 2021 auch für kulturelle Nutzungen wurde das Pilotprojekt “Xhain-Terrassen” durch das SGA Friedrichshain-Kreuzberg umgesetzt und 2021 erweiternd verstetigt. Interessierte können sich per digitalem Anmeldeformular via FixMyBerlin dazu beim Bezirk melden. Neben den realisierten sollten noch weitere Nutzungen erprobt werden (u.a. Kita-Hof), dies steht jedoch noch aus. Die Studie ist dabei bewusst so angelegt, dass sie auch nach der Pandemie noch genutzt werden kann, da alle Begründungen und Rechtsnormen so angelegt sind, dass sie auch unter Normalbedingungen Gültigkeit haben und für den Stadtumbau relevant sind. Diverse Elemente der Studie finden sich auch in Konzepten für Kiezblocks wieder.
Parklets in Schöneberg
Leonard Hohenbild (Kiez erFahren) berichtete über die gesammelten Erfahrungen beim Fertigen und Aufbauen von zehn Parklets in Schöneberg, den SchönenFlächen. Julia Jarass (DLR, AKöR) ergänzt mit den ersten Ergebnissen der Begleiterhebung.
Im Rahmen des Projektes „Kiez erFahren“ wurden 2020 fünf SchöneFlächen in Schöneberg Nord auf jeweils einem Parkplatz in jeweils verschiedenen Straßen aufgebaut. 2021 wurde den gesamten August die Barbarossastraße zwischen Kyffhäuser- und Goltzstraße für den Kraftverkehr gesperrt und für die Menschen geöffnet. Dies trug den Namen Sommerstraße Barbarossa. In diesem Zeitraum wurden die fünf SchönenFlächen des letzten Jahres wieder aufgebaut und die fünf neu gefertigten. Jede SchöneFläche hatte dabei ein eigenes Thema/Widmung: Lastenfahrrad, Urban-Gardening, Bühne, Co-Working, Informationen zum Projekt mit Schwarzem Brett, FreieFläche, Sport, Tauschen und Verschenken, Schön Relaxen, Murmelbahn und Sandkasten. Die Abmessungen waren jeweils 5*2,5*2m.
Im Jahr 2020 wurden recht massive Holz-Konstruktionen verwendet mit jeweils 44 Winkeln. Die fünf von 2021 wurden nach dem Modell 2 gebaut: Ohne waagerechtes Holz auf dem Boden, mit Zapfen-Schlitz-Verbindung und damit weniger massiv. Bis auf eine haben alle SchönenFlächen die Maße 250x500x200cm.
Darüber hinaus sind aktuell noch teilweise weitere wiederverwendbare Module montiert:
- mehrere Bänke an halben Längsseite zwischen Ständern und an der Stirnseiten
- 3 komplette Überdachungen mit transparenten Wellplatten
- 1 halbe Überdachung mit transparenten Wellplatten
Die Auswertung der Ergebnisse zeigt, dass der Wegfall der Stellplätze und die andere Form von Lärm die größten Kritikpunkte darstellen. Viele lobten die innovative Umsetzung und den neuen Rahmen indem sich beteiligt werden kann. Ca. 100 von 1300 Fragebögen wurden zur Auswertung zurückgeschickt. Die generelle Meinung zu der Sommerstraße Barbarossa waren polarisiert. Die negativen und positiven Meinungen waren fast gleich stark vertreten mit einem kleinen Überhang der negativen. Die Bewertung des Projekts steht dabei in einem engen Zusammenhang dazu, ob die befragte Personen häufig oder selten einen Kfz nutzt. Bis Ende 2021 wird zudem ein Leitfaden für lokale Verkehrswende-Projekte im Bezirk erarbeitet.
Protest-Podeste
Pionierhaft umgesetzt wurden Parklets in Form von „Protest-Podesten“ schon 2019, um im öffentlichen Raum auf Verdrängung von Gewerbe und angestammten Mieter:innen aufmerksam zu machen. Hendrik Weiner (raumdialog) hat die Konstruktionen entworfen und umgesetzt.
Die Basis bilden Euro-Paletten, die räumliche Wirkung wird durch Planken, die mit den Paletten und untereinander verschraubt sind, erreicht. An diesen können dann auch weitere Informationen, wie Aushänge und Schwarze Bretter befestigt werden. Für die Protest-Podeste existiert ein Modul-Katalog, da die Idee ist, dass an jede Situation und Größe angepasst wieder solche errichtet werden können.
Hier waren die wichtigsten Punkte, dass eine Genehmigung direkt über den (damals noch) für das SGA zuständige Stadtrat Florian Schmidt war und die Protestpodeste so nicht schon nach kurzer Zeit wieder entfernt werden mussten. Dies wurde mit Gefahr im Verzug begründet, da das Protestpodest auf die akute Verdrängungslage lokal verankerter und für die soziale Zusammensetzung im Kiez relevanter Strukturen aufmerksam machen soll, die nach einem langen Genehmigungsprozess ggf. schon geschehen wäre. Im Nachhinein wurde noch eine Berechnung der Statik bzgl. Windlast gefordert, die geliefert werden konnte.
Die einfach verschraubten Verbindungen und fehlende Haftung durch ein professionelles Unternehmen stellen solche Vorhaben im aktuellen Rechtsrahmen vor Herausforderungen, da unklar ist, wer für etwaige Schäden aufkommen würde. Auch mit Genehmigung vom Bezirksamt scheint die Person, die das Podest aufstellt nicht frei von Haftung zu sein. Das Protest-Podest musste mit Baken gegenüber dem Verkehr gesichert werden. Vandalismus war während der Standdauer von einem Jahr kein Problem. Das Feedback war nach eigenen Angaben und ohne wissenschaftliche Untersuchung meist positiv. Die Idee eines Kristallisationspunktes zur Bildung der öffentlichen Meinung zum Thema Verdrängung hat funktioniert.
Bachelorarbeit zu den Grätzl-Oasen in Wien
Antonia Nähring (DLR) stellte zentrale Ergebnisse ihrer Abschlussarbeit aus dem Parklet-Programm in Wien („Grätzl-Oasen“) vor.
Hier hat sich gezeigt, dass die inzwischen 120 Parklets vor allem dann gut angenommen werden, wenn sie Handlungsaufforderungen beinhalten und/oder den öffentlichen Raum deutlich aufwerten. Außerdem ist Partizipation ein entscheidender Punkt. Die Lage sollte möglichst in Wohngebieten und in der Nähe von Gehwegvorstreckungen oder Baumscheiben sein, möglichst auf einem Quer- oder Schrägenparkplatz. Wegen des Lärms sollte im EG und ersten OG möglichst keine Wohnnutzung sein. Regelmäßige Veranstaltungen und Begrünung wirken sich zusätzlich positiv aus.
Parklets Stuttgart
Kristina Lazarova (Urbane Liga) ist co-Initiatorin der Parklets Stuttgart, die auch Vorbild für das Parklets-Förderprogramm der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (SenUVK) in Berlin ist. Hier wurden in enger Zusammenarbeit der Stadt Stuttgart und der Universität Stuttgart mehrere Parklets gebaut und deren Auswirkungen untersucht. Die zentralen Ergebnisse sind im Dokument „Realexperiment Parklets für Stuttgart“ festgehalten. Ein interessantes weiteres Projekt in Stuttgart ist die “Wanderbaumallee” (s. Bild unten rechts).
Aus dem Programm ist eine Website hervorgegangen mit Hilfe derer das Aufstellen eines Parklets (theoretisch) beantragt werden kann, dies scheint jedoch in der Praxis nicht/kaum zu funktionieren: https://www.stuttgart.de/vv/leistungen/aufstellen-von-parklets.php.
Parklets-Förderprogramm der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz
Das Parklets-Förderprogramm wurde von Merlin Pitz (SenUVK, Fußverkehr) vorgestellt und von Berlin21 und den Naturfreunden Berlin aktuell umgesetzt. Tristan Biere (Berlin21) stellt die „Berliner Parklet-Checkliste“ für das Programm vor und erläutert den.
Anfangs war die Idee 100 Parklets in Berlin auf die Straße zu bringen, es musste jedoch schnell gelernt werden, dass Einzelgespräche zur Gewinnung entscheidender Personen bei neuartigen und ggf. kontroversen Projekten zielführender sind, als die Vorstellung der Projektidee in einer großen Konferenz. Denn die erste Besprechung mit den Leiter:innen der zuständigen Bezirksämter war ernüchternd. Das Projekt wurde von 11 der 12 SGAs als zu aufwändig, unsinnig oder nicht umsetzbar eingeschätzt. Die ambitionierte politische Amtsleitung in Friedrichshain-Kreuzberg (welche als einzige nicht an der Konferenz teilgenommen hatte) machte schließlich den Anfang, allerdings unter der Bedingung ein einfaches und schlankes Genehmigungsverfahren zu erarbeiten. Die Parklets werden nun aus einem zuvor definierten und genehmigten Katalog ausgewählt, der auf weiterentwickelten Modulen der Protest-Podeste von Hendrik Weiner beruhen.
Diese werden zusammen mit den Beantragenden gebaut. Da der Aufbau am Zielort so viel Platz beanspruchen würde, dass dafür eine zeit- und kostenaufwendige Baustellenabsicherung notwendig wäre, sollen an einem zentralen Ort die Unterkonstruktionen gefertigt werden, die dann an den Zielort geliefert und dort vollendet werden. Im Nachgang des Treffens konnte in intensiver Zusammenarbeit von Berlin21 und der AKöR in Kooperation mit der Zusammenstelle und dem Baupalast eine ad hoc-Lösung für die bauliche Umsetzung in der Adlerhalle ermöglicht werden. So wurde zwischen September und November ein Prototyp für einen „Kommunalen Koop-Bauhof“ im Rahmen des Pilotprojekts erprobt.
Nach erfolgreichem Anlaufen konnten auch noch Mitte und Charlottenburg-Wilmersdorf gewonnen werden. Aktuell ist das Aufbauen von 70 Parklets geplant. Das Beantragen eines Parklets war in zwei Runden über eine Website und die transparente Checkliste leicht möglich, die in mehreren Video-Konferenzen vorgestellt wurde. Mittlerweile sind mehrere Parklets erfolgreich ausgeliefert und konnten noch vor dem Winter bepflanzt werden.
Wandernder Lebenswerter Stadtraum
Kai Siefke und Katja Pfeiffer stellten die Vision des ambitionierten Projekts „Wandernder Lebenswerter Stadtraum“ (WLS) vor, welche die Parklet-Idee auf einen ganzen Straßenraum ausweitet und modular unterschiedliche Nutzungen temporär darstellen können soll. Von Begrünung über Tischtennis, Bühnenszenarien und Sandkästen bis zur lokalen Speicherung von Regenwasser sollen diverse Nutzungen partizipativ erdacht, ausgewählt und erprobt werden können. Eine Übersicht über die angedachten Module findet sich auf S.22/23 in der Präsentation zu den Kiezblocks in Mitte (Link hier).
Bei dem auf Europaletten basierenden Konzept ist mitgedacht, dass es möglichst einfach auf- und abgebaut sowie transportiert werden kann. Darüber hinaus soll eine wissenschaftliche Begleitung stattfinden. Der Aufbau kann an Kreuzungen oder mit Verschwenkung in Nebenstraßen erfolgen. Viele Unterstützer:innen konnten bereits gewonnen werden u.a. sind verschiedene Hochschulen, Stiftungen und Bezirke interessiert und auch in Kiezblocks wurden schon mehrere Initiativen gewonnen.
Um von der Vision zur Realität zu kommen, wird von mehreren Teilnehmer:innen die Erarbeitung einer klaren Roadmap zur Umsetzung unter Berücksichtigung von Teilschritten für zentral für angesehen, da viele Fragen insb. bzgl. Genehmigungen noch unklar oder ohne Vorbild sind. Hierzu könnte ein Arbeitstreffen, ideal mit Beteiligten aus den Bezirksämtern, der SenUVK, Berlin21 und interessierten Initiativen aus dem Parklets-Förderprogramm bzw. Kiezblocks nach der Wahl organisiert werden.
Mu-Fu-Streifen
Um solch diverse Nutzungsansprüche im Straßenraum unterzubringen, braucht es grundlegend eine Neuausrichtung der von der Forschungsgemeinschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) herausgegebenen Regelwerke (insb. der RASt06), welche den Status Quo der Fahrbahnaufteilung, -gestaltung der „Parkstände“ im Straßenraum zementieren und wenig Spielraum für andere Nutzungen zulassen, selbst wenn Kommunen dies unterstützen. Sonja Bettge (TU Berlin) und Immo Janssen (AKöR, TU Berlin) stellen die Problematik dar und schlagen als neues Entwurfselement einen Multifunktionsstreifen („Mu-Fu-Streifen“) vor, bei dem Kfz-Parken nur noch eine Nutzung unter vielen anderen ist und auch eine saisonale Umnutzung stattfinden kann.
Parkraumkarawane
Das Team der Selbsthilfewerkstatt Fahrrad3000 in der Adlerhalle ist auch im Straßenraum durch ein Projekt der Urbanen Praxis aktiv. Domenic und Felix stellen die Parkraumkarawane vor, die mit auffälligen, multifunktional einsetzbaren do-it-yourself-Fahrradanhängern sonst von Kfz blockierten Parkraum temporär besetzt, belebt und so zeigt, wie die temporäre Umnutzung auch ganz schnell und ohne jegliche Genehmigung möglich ist: Es braucht nur zwei Achsen, um einen Platz ganz schnell selbst aufzubauen. Die selbstgebauten Fahrradanhänger wurden beim Workshop aus- und vorgestellt. Gemeinnützige Projekte und Initiativen können die Anhänger seit Oktober unkompliziert ausleihen.