Pressemitteilung, 04.11.2022 vom Vorkaufsrat XHain
Vor einem Jahr, am 9.11.2021, hat das Bundesverwaltungsgericht durch sein Urteil die Praxis der Kommunen, das Vorkaufsrecht auszuüben, so stark eingeschränkt, dass seine Anwendung im Sinne des Milieuschutzes praktisch verunmöglicht wurde.1 Das Vorkaufrecht kann seitdem nur noch auf sogenannte Schrottimmobilien angewendet werden und verfehlt damit die Absicht des Gesetzgebers, den Kommunen ein Instrument, zum Schutz ihrer Erhaltungsgebiete in die Hand zu geben.
Den Kommunen ihre Handlungsfreiheit zurückgeben
Aus dem Urteil folgt ein klarer Handlungsauftrag an die Politik, das Gesetz nachzubessern, damit es der ursprünglichen Absicht des Gesetzgebers entsprechend angewendet werden kann. So sehen das auch die Bundesbauministerkonferenz und der Deutsche Städtetag.2 Der Handlungsspielraum der Kommunen ist ohnehin begrenzt, weil Mieten- und Baugesetz vom Bund geregelt werden. Durch das Urteil fehlt ein wichtiges Instrument, um Immobilienspekulation vorzubeugen. Denn wer bereit ist, die exorbitant überhöhten Immobilienpreise zu bezahlen, muss zwangsläufig hohe Profite generieren. Mietsteigerungen und Verdrängung sind die Folge.
Das Vorkaufsrecht fördert eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung
Das Vorkaufsrecht zielt auf Abwendungsvereinbarungen. Dabei entstehen den Kommunen keine Kosten. Im Vorkaufsfall gewinnen die Kommunen Boden und Wohnraum zurück, ein zentraler Faktor für politischen Gestaltungsspielraum3.
Das Vorkaufsrecht bot betroffenen Mieter:innen die Chance, für den Erhalt ihrer Nachbarschaften zu kämpfen. Gemeinschaften und politisches Interesse, Mitgestaltungswillen und Verantwortung für die Stadtentwicklung sind entstanden und gewachsen.
365 Tage sind vergangen. Jeden Tag gehen Mietshäuser in Milieuschutzgebieten verloren
Ein Gesetzesentwurf der Linken wurde im Januar abgelehnt, weil aus dem SPD geführten Bauministerium ein rechtssicherer Vorschlag erarbeitet werden sollte. Dieser Referenten-Entwurf wurde am 9. Mai vorgelegt und seitdem von der FDP anhaltend blockiert: Der Justizminister schweigt, ein Sprecher benennt als Kritik „unverhältnismäßig hohe Kosten, um günstiges Wohnen für einige wenige Betroffene zu sichern“4. Auch Daniel Föst, für die FDP im Stadtentwicklungsausschuss, blockiert als erklärter Vorkaufsrecht-Gegner und verweist außerdem auf den Prüfauftrag aus dem Koalitionsvertrag.5 Damit erfüllt die FDP die Hoffnungen der Immobilienbranche im Falle der Regierungsbeteiligung „Regulierungen zu verhindern“.6
Verzögerungstaktik hat Erfolg auf Kosten von Mieter*innen und Milieuschutz
Jetzt hat das Berliner Verwaltungsgericht einer Investorin recht gegeben, die gegen ihre Abwendungsvereinbarung geklagt hat.7 Denn genau um die geht es eigentlich: mit dem Vorkaufsprivileg konnten die Kommunen Kaufwillige zu Abwendungsvereinbarungen bewegen, also zu Selbstverpflichtungen, die erworbene Immobilie im Sinne des Milieuschutzes zu verwalten. Was für Investor:innen wie Jacopo Mingazzini, Vorstand der Accentro Real Estate AG, „Erpressung“8 ist, war für Mieter:innen ein letzter Strohhalm und eigentlich nur ein schwaches Schutzschild für die Stadtgesellschaft.
Wenn die Klage gegen die Abwendungsvereinbarung bestand hat, können sich tausende Mieter:innen nicht mehr sicher fühlen
Daniel Föst „hat Fragen“9 – Mieter:innen haben Angst. 383 Häuser sind allein in Berlin betroffen. Das sind 7.500 Mietparteien und schätzungsweise 15.000 Menschen. Auch wenn es keine höchstrichterliche Entscheidung ist, wissen Mieter:innen längst, dass sie mächtige Gegner:innen haben. Die Immobilienwirtschaft lobbyiert mit 142 Personen und mehr als 8 Millionen Euro jährlich10. Offensichtlich spezialisiert sie sich darauf, stadtentwicklungs- und wohnungspolitische Instrumente durch Gerichtsurteile zu kippen. Wohin sollen Betroffene also im Zweifelsfall, wenn der Bestand renditegetriebenen Investor:innen überlassen wird? Es ist verunsichernd und völlig unverständlich, warum sich die anderen Mitglieder der Regierung nicht gegen die FDP durchsetzen können oder wollen.
Wir fordern eine Beendigung der FDP-Blockade – sofort!
Unsere wohnungspolitischen Forderungen gehen weit über den vorgelegten Referenten-Entwurf hinaus. Der Notstand auf dem Wohnungsmarkt wurde durch das Urteil zum Vorkaufsrecht verschärft.
§ 26 Nummer 4 BauGB muss deshalb schnell novelliert werden, damit die bestehenden Abwendungsvereinbarungen geschützt sind und das Vorkaufsrecht auch zukünftig bei zu erwartender erhaltungswidriger Nutzungsabsicht vorausschauend angewendet werden kann.
1 Die Urteilsbegründung lautet, dass die Ausübung nicht nur auf der Grundlage der Annahme erfolgen darf, dass der Käufer in Zukunft gebietserhaltungswidrige Nutzungsabsichten verfolgen werde. Diese müssten bereits an der Nutzung oder am Zustand der Immobilie erkennbar sein. Deutscher Städte- und Gemeindebund https://www.dstgb.de/themen/stadtentwicklung-und-wohnen/wohnungspolitik/bundesverwaltungsgericht-zur-anwendung-des-kommunalen-vorkaufsrechts/
2 Cansel Kizeltepe im Tagesspiegel https://www.tagesspiegel.de/berlin/an-diesem-ampel-streit-hangen-die-mietpreise-vieler-berliner-spd-erhoht-druck-auf-justizministerium-fur-neues-vorkaufsrechtsgesetz-8812744.html
3 In Berlin sind beispielweise 70% der Bestandswohnungen sind Privateigentum Andrej Holm, 2.11.2022, auf der Veranstaltung Leerstand, Verfall, Abriss, Neubau, Profit – Was setzen wir dem entgegen? Im Kiezraum Dragonerareal, Berlin. https://strassegegenleerstand.de/?p=1054
5 „Wir haben einen Prüfauftrag im Koalitionsvertrag vereinbart. Den hätten SPD und Grüne nicht unterzeichnen dürfen, wenn sie dazu nicht stehen.„ https://www.abendzeitung-muenchen.de/muenchen/stadt-kauft-haeuser-fuer-mieterschutz-daniel-foest-findets-nicht-sozial-gerecht-art-829148
6 architekturbatt https://www.architekturblatt.de/stimmen-der-immobilienwirtschaft-zur-bundestagswahl/
8 „Dass manche Investoren die Abwendungsvereinbarungen nicht akzeptieren wollen, lässt sich leicht als Profitgier auslegen, dabei wollen sie sich oft schlicht und ergreifend nicht erpressen und verteufeln
lassen.“ https://schick-immobilien.de/magazin/das-problem-mit-dem-vorkaufsrecht/
10 taz https://taz.de/Treffen-mit-Ampel-Regierung/!5855170/
Pressekontakt:
Klaus Galimberti, Hasenheide 50, galimberti@posteo.de, 01577 3105767
Mareike Spendel, Mehringdamm 49, , 01577 3130806