#Mittlerweile 12 Initiativen im Bezirk setzen sich für Kiezblocks ein // #BVV unterstützt Einwohner:innen-Anträge für Kiezblocks und beschließt 2022 flächendeckende Verkehrsberuhigung für ganzen Bezirk // #Planungsgespräche mit Initiativen // #Viele Baustellen bleiben
Zur Diskussion dieser Frage auf der kommenden Baustelle Gemeinwohl-Veranstaltung am 23. November – Anmeldung siehe unten – möchten wir hier einen kurzen Überblick zur aktuellen Entwicklung der gemeinwohlorientierten Nutzung von öffentlichem (Straßen-)Raum geben, mit dem sich die AKöR seit 2020 befasst:
Seit dem Beschluss des Berliner Mobilitätsgesetzes (MobG BE) und der verstärkten Berichterstattung über die “Superblocks” in Barcelona, gibt es auch in Berlin zunehmende Bestrebungen, Stadtquartiere konsequent vom Kfz-Verkehr zu beruhigen. Dies bedeutet, große Mengen heute gewohnheitsmäßig von Autos besetzten Raums neu zu denken, bisher unterdrückte Bedarfe (z.B. Klimaanpassung, Stadtgrün, Entwicklungsraum für Kinder, gemeinwohlorientierte Gewerbe- und Freiflächen) stärker zu berücksichtigen und diesen Raum vorrangig solchen Nutzungen und Nutzer:innen zur Verfügung zu stellen, die Kieze lebenswerter, umweltgerechter und widerstandsfähiger machen gegenüber einem sich wandelnden Klima oder auch gesundheitlichen Krisensituationen, wie Corona.
Um engagierte Bürger:innen, Politik und Verwaltung hierbei zu unterstützen, hat Changing Cities die #Kiezblocks-Kampagne ins Leben
gerufen, mit dem Ziel, mind. 180 Kiezblocks durch lokale Initiativen zu realisieren, 15 in jedem Bezirk. Mittlerweile engagieren sich über 60 Initiativen in ganz Berlin. Mit diversen Spielstraßen-, Parklet- und Kiezblock-Initiativen, einer aufgeschlossenen Bezirkspolitik und einem gelungenen Auftakttreffen in der StadtWERKSTATT 2021 (Doku hier), schien Friedrichshain-Kreuzberg erneut Modell für andere Bezirke werden zu können, ähnlich wie bei den Spielstraßen oder Pop-Up-Radwegen.
Lagebericht: Wo steht die Umsetzung, wo gibt es weiter Baustellen?
Nach einem Jahr ist es Zeit für eine Lageerfassung. Auf dem Papier war 2022 ein gutes Jahr für die Umsetzung von Kiezblocks im Bezirk:
Mehrere Initiativen von Anwohner:innen zu Kiezblocks wurden durch die BVV bestätigt.
- Bereits in Arbeit und weiter verstetigt wurden der Chamissokiez/Bergmannkiez (DS/1457/V), der Samariterkiez (DS/0899/V) und der Wrangelkiez (DS/0468/IV)
- Neu hinzugekommen sind der Reichenberger Kiez (DS/2063/V), der Viktoria Kiez (DS/2045/V und Südkiez/Ostkreuz (DS/0029/VI) sowie Anträge für die Kreuzberger Luisenstadt (DS/0082/VI) und den Großbeerenkiez (DS/0081/VI)
- Im Koalitionsvertrag der Landesregierung aus SPD, Grünen und Linken gab es ein klares Bekenntnis zur Unterstützung der Bezirke bei der Umsetzung von Kiezblocks (S.60-61)
- Und auch die Zählgemeinschaft aus Grünen und SPD im Bezirk will die Verkehrsberuhigung und Parkraumbewirtschaftung sowie die Umnutzung und Entsiegelung von Flächen voranbringen.
Besonders hervorzuheben ist der BVV-Beschluss (DS/0299/VI vom 17.08.2022), mit dem das Straßen- und Grünflächenamt (SGA) mit der Planung einer „flächenhaften Verkehrsberuhigung“ über nahezu den gesamten Bezirk beauftragt wurde. Dabei sollen wesentliche Vorarbeiten von Initiativen aufgegriffen werden. Zusätzlich sollen Gebiete verkehrsberuhigt werden, in denen noch keine Initiativen existieren, jedoch nach Kriterien der Umweltgerechtigkeit (Lärm, Luftqualität, Bioklima, Sozialstatus und Grünversorgung) unter besonders hohen Belastungen leiden und Priorität bei der Umsetzung erhalten sollen.
Das SGA hat im Sommer begonnen, Planungsgespräche mit allen Initiativen zu führen, die Konzepte für die Umsetzung von Kiezblocks erarbeitet haben. Diese werden aktuell intern ausgewertet und sollen, ergänzt durch eigene Pläne des SGAs zu Gebieten, in denen keine Vorarbeiten durch Initiativen bestehen i.S.e. „bedarfsgerechten Gesamtplanungsansatzes“ bis Anfang 2023 veröffentlicht werden.
Dabei sollen Kieze im ersten Schritt vom Kfz-Durchgangsverkehr befreit werden, wofür mehrere Bausteine vorgesehen sind, die lokal angepasst und schrittweise eingeführt werden sollen.
Alles gut, oder fangen wir nun erst richtig mit dem Bauen an?
In den Vorgesprächen sind bereits einige Baustellen klar geworden:
- Wie bekommen wir mehr Personal ins Amt – und schaffen es, die Planer:innen, die da sind, weiter motiviert zu halten?
- Welche Ressourcen können Initiativen einbringen, um die Umsetzung zu beschleunigen und das Amt konkret zu entlasten?
- Wie gelingt eine vielfältige Beteiligung der Menschen in den Kiezen?
- Was brauchen die Initiativen vom Amt, welche Art der Kommunikation braucht es und was können Mittler:innen wie Kiezstrukturen oder die AKöR hier beitragen und leisten?
- Wie gelingt die vorgezogene Umsetzung blau-grüner Infrastrukturen in den Kiezblocks, um auf den Klimawandel zu reagieren?
Diese und weitere Themen wollen wir gerne gemeinsam mit euch klarer erfassen: Was läuft gut, wo gibt es Probleme, was können und wollen die Initiativen beitragen und was braucht es dafür?
Background: Warum setzen sich Initiativen für Kiezblocks ein?
In Berlin sind 2020 über 15.000 Menschen im Verkehr verunglückt, darunter waren über 800 Kinder. 50 Menschen sind im Verkehr zu Tode gekommen, fast immer im Autoverkehr [Polizei Berlin 2021]. Zu hohe Geschwindigkeit, illegales Eckenparken und das Ausweichen des Durchgangsverkehrs in die hierfür nicht vorgesehenen Wohngebiete sind ein großes Problem, das die Lebensqualität und Mobilität aller hier Wohnenden einschränkt. In vielen Kiezen tun sich mittlerweile Menschen zusammen, um sich für eine Reduzierung des Kfz-Verkehrs, eine bessere Nutzbarkeit und gerechtere Aufteilung des öffentlichen Raums für andere Bedarfe als die des Kfz-Verkehrs zu engagieren.
Tatsächlich besitzt in unserem Bezirk nur eine Minderheit von etwa 20% noch ein Auto. Und nur 14% der Wege werden mit dem Auto zurückgelegt. Im Vergleich: Fuß und Rad machen 60% der alltäglichen Wege aus, für über ein Viertel werden Bus und Bahn genutzt [SenUMVK 2018]. Entsprechend stehen die meisten Autos am Tag unbewegt, im Schnitt 23 Stunden/Tag und 12m² für jede Parklücke. Mehr Platz als in manchem Kinderzimmer in den umliegenden Wohnungen – und doppelt so viel, wie jede:r Einwohner:in Berlins Grünflächen zur Verfügung stehen sollte. Die Realität: Gerade einmal 9% der Bewohner:innen Friedrichshain-Kreuzbergs sind aktuell ausreichend mit Grün versorgt. Dabei steigt die Wichtigkeit eines ausreichenden Stadtgrüns durch die Veränderung des Klimas.
Schon jetzt führt die Versiegelung bei Starkregen zur Überlastung der Kanalisation und im Sommer zu starker Aufheizung. Das Bezirksparlament (BVV) hat 2021 daher die Erarbeitung eines Entsiegelungskonzepts beschlossen – ein aktueller BVV-Antrag schlägt zudem vor, pro Jahr 2% bzw. 500 der bisher von Kfz-Parkstände zu Grünflächen umzuwandeln [DS/0425/VI]
Auch für Spielplätze und die Nachbarschaft ist eine Neuaufteilung des öffentlichen (Straßen-)Raums bei weiterer Verdichtung der Stadt dringend nötig. Ein aktuelles Projekt des Tagesspiegels mit der Initiative Parkplatz Transform macht dies am Beispiel des Chamisso-/Bergmannkiez deutlich: Hier stehen nur 0,3% der Kiezfläche für Grün, 0,7% für Spielflächen – gegenüber 3% für Parkplätze zur Verfügung – knapp 30.000m². Dieses Missverhältnis wurde vielen Menschen erst durch Corona bewusst – mittlerweile ist das Thema der Kiezblocks und der Flächengerechtigkeit zu einer „Großbaustelle der gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung“ geworden.
Wir wollen über den Status Quo und kooperative Ansätze zur weiteren Umsetzung in 2023 sprechen!
Kommt zur Baustelle Gemeinwohl am 23. November um 18 Uhr im Kiezraum: Anmeldung und Programm HIER.