Neue Kooperationen
für leistbare und offene Räume

in Friedrichshain-Kreuzberg

Baustelle

#18

Neubau für Wohnen und Gewerbe durch gemeinwohlorientierte private Akteur*innen

In verschiedenen kooperativen Bau- und Planungs­projekten im Bezirk wird versucht, unterschied­liche gemeinwohl­orientierte Akteur*innen in die Rolle der Bauherr*innen zu bekommen. Natürlich ist in der Regel eines der landes­eigenen Wohnungs­unter­nehmen1 gesetzt, um kommu­nalen Wohnungs­bau umzu­setzen, welcher aber mit der Entwick­lung von Wohnungs­bau und Gewerbe­flächen durch private gemein­wohl­orien­tierte Akteure ergänzt werden sollte. Die Mischung kann für die Quartiere Vorteile bei der räumlichen Nutzungs­programmie­rung und der Bevölkerungs­struktur bringen. Doch die Gegeben­heiten (Politik & Markt) sind heraus­fordernd und verlangen nach Koope­ration und all­seitigen Anstren­gungen der Beteiligten.

Die Weichen­stellungen der Politik im Land Berlin

In den Richtlinien der Regierungs­politik des amtieren Berliner Senats 2023–2026 wird an mehreren Stellen die Förderung des Genossen­schafts­wesens ausdrücklich genannt (siehe folgende Zitate). „Die landes­eigenen Wohnungs­bau­gesell­schaften und Genossen­schaften sollen verstärkt mit Bau­grund­stücken versorgt werden.“ Wie schon unter der Vorgänger­regierung „hält der Senat daran fest, grund­sätz­lich keine landes­eigenen Grund­stücke oder Wohnungen zu verkaufen. Hiervon darf bei gemein­wohl­orientierten Wohnungs­baugenossen­schaften im Einzelfall abgewichen werden. Mit dem Ziel der Durch­mischung bei größeren Quartiers­entwick­lungen auf landes­eigenen Grund­stücken sollen Genossen­schaften in angemes­sener Weise bei der Vergabe von Flächen berück­sichtigt werden. Die Vergabe kann durch Erwerb oder im Wege eines Erbbau­rechts mit lang­fristiger Mietpreis- und Belegungs­bindung erfolgen. Hierbei kann ein verein­fachtes Konzept­verfahren angewandt werden, wenn die soziale Bindung grund­buchlich gesichert wird.“

Ein vereinfachtes Konzept­verfahren muss kommen

Der Senat kommt mit der Erwähnung eines „vereinfachten Konzept­verfahrens“ einer Forderung entgegen, die schon 2021 von den Akteur*innen der Baustelle Gemeinwohl Plattform (im Besonderen getragen durch das Netzwerk GI) aufgestellt wurde. Mit dem Papier „Berlin braucht das gemein­wohl­orientierte Konzept­verfahren“ wurde eine Verein­fachung des Verfahrens vorgeschlagen, denn die bisherige Praxis bei Konzept­verfahren in Berlin ist weitgehend gescheitert.

Konzept­verfahren sind für die Betei­ligten so wohl zu teuer wie zu unsicher und damit unwirt­schaftlich. Der gewünschte Effekt an die beste Lösung für ein Quartier zu kommen, lässt sich so nicht erreichen. Deshalb sollte ein verein­fachtes Konzept­verfahren zweistufig konzipiert sein. In der ersten Stufe sollte von den an einer Umsetzung Interessierten nur ein text­liches Konzept (inhaltliches Konzept und Finanzierungs­konzept) eingebracht werden, das noch keine architek­tonische Planung enthält. Auf dieser Grund­lage sollte eine „Anhand­gabe“ an das beste Gebot mit kurzer Lauf­zeit gegeben werden. Gelingt es der/m Bietenden innerhalb dieser Frist ein funktio­nierendes Gesamt­konzept einschließ­lich der bau­lichen Planung zu erbringen, wird eine Direkt­vergabe umgesetzt. Damit würde die Entwicklungs­zeit stark verkürzt und die Attrak­tivität, Gebote einzu­reichen extrem erhöht. Kommt eine entsprechende Änderung nicht, wird es bei den gegebenen sonstigen Faktoren im Bau­gewerbe vermut­lich keinen gemein­wohl­orien­tierten Akteur geben, der sich bei Konzept­verfahren beteiligen kann.

Kosten für das Erbbaurecht

Es ist schon jetzt gängige Praxis, dass bei den Geboten im Rahmen von Konzept­verfahren sehr niedrige Werte für den Erbbau­zins möglich sind. Gefordert wird nur ein „positiver Erbbauzins“, der auch nahe Null liegen kann (siehe z.B. Ausschreibung für Gebote 2023 „Brückenstraße“ in Niederschöneweide). Damit reagiert die BIM als Herrin der Konzept­verfahren im Auftrag des Senats auf die realen Gegeben­heiten in der Bau­branche. Auch im Vergleich zur üblichen Praxis der für die Unter­nehmen im Prinzip kosten­freien Grund­stücks­einbringung bei landes­eigenen Wohnungs­unter­nehmen, ist der weit­gehende Verzicht auf Ein­nahmen durch den Erbbau­zins angemessen.

Förderungen zur Abmil­derung der heraus­fordernden Rahmen­bedingungen

Das statistische Bundes­amt zeigt einen starken Einbruch bei den Bau­genehmi­gungen. Dies ist insbesondere auf die heraus­fordernden Rahmen­bedingungen zurück­zuführen: Steigende Baukosten, Fach­kräfte­mangel, hohe Bauzinsen. Auch für die landes­eigenen Wohnungs­bauunter­nehmen sind diese Gegeben­heiten schwierig, aber ihnen stehen als politisch geförderte landes­eigene Betriebe insbesondere zur Finanzierung andere Möglich­keiten zur Verfügung.

Die privaten gemein­wohl­orientierten Akteure werden über die „Genossenschaftsförderung“ im Rahmen der sozialen Wohn­raum­förderung gefördert. „Es können sowohl der Neubau als auch der Bestands­erwerb mit zinslosen Darlehen gefördert werden und förder­fähig sind auch der Erwerb von Geschäfts­anteilen oder die Zahlung projekt­bezogener Beteiligungen, die Voraus­setzung zum Bezug einer genossen­schaft­lichen Wohnung sind. Das Angebot richtet sich an Haus­halte mit Wohn­berechtigungs­schein (WBS) bzw. innerhalb der Einkommens­grenzen für einen WBS, die Wohn­raum bei einer Genossen­schaft in Berlin beziehen möchte.“

Außerdem hat das Land Berlin die Wohnbau­förderung reformiert. Inzwischen gibt es vier Förder­modelle:

Dadurch wurde der Neubau von gefördertem Wohnraum sehr viel attraktiver, so dass die meisten landes­eigenen Wohnungs­unternehmen, jetzt deutlich über den Mindest­anteil von 30 % gefördertem Wohnraum mit entsprechender Miet­preis­deckelung hinaus­gehen. Im privaten Sektor ist noch keine deutliche Zunahme des geförderten Wohnungs­baus auszu­machen, aber für gemein­wohl­orientierte Akteure sind inzwischen Misch­konzepte mit höheren Anteilen an gefördertem Wohnraum Standard.

Vorteilhafte Struktur der Be­wohner*­innen

Gerade wenn von den landes­eigenen Wohnungs­unternehmen in den Neubau­projekten um die 90% aller Wohnungen als geför­derte Wohnungen errichtet werden, ist der Blick auf die Zusammen­setzung der Bevölkerungs­struktur auf der Ebene des Quartiers wichtig. Die Klientel der privaten gemein­wohl­orien­tierten Akteur*innen zeigt im Schnitt deutlich höhere Niveaus bei den Sozial­daten. Dennoch besteht, wie auch in der Gesamt­bevölkerung, bei den Mit­gliedern der genossen­schaftlichen Akteur*innen eine deut­liche Unter­deckung in der Versorgung mit Wohnraum. Deshalb bauen die Gemein­wohl­orientierten Wohnungen zunächst auch für die eigenen Mit­glieder. Dies gilt für alle Förder­modelle, aber dennoch werden in der Regel die Wohnungen nicht nur mit Mit­gliedern belegt. Eine Mischung unter den Bauherren führt auch zu einer höheren Durch­mischung bei den Bewohner*innen und damit zu stabileren Kiezen.

Umsetzung von Gewerben mit geplanten Funk­tionen in den Quartieren

Der Neubau und die Vermietung von Gewerbe­flächen – meist in den Erd­geschoss­lagen von darüber liegenden Wohn­gebäuden – sind für die landes­eigenen Wohnungs­unternehmen (LWU) ein Betätigungs­feld, in dem deutlich weniger politische Auf­lagen das Geschäfts­gebaren regeln. Die LWU stellen aber einen Groß­teil der Räume für viele soziale Ein­richtungen (z.B. Kitas oder Beratungs­stellen), für die Mieten nur in Höhe der geförderten Kosten­mieten leist­bar sind. Bei Neubau­projekten wird regel­mäßig mit Einnahme­erwartungen entsprechend zu aktuellen Markt­preisen gerechnet, womit die Räume außerhalb der Leist­barkeit für gemein­wohl­orientierte Akteur*innen der Sozial­wirtschaft sind.

Auch der Neubau von Gewerbe­raum durch private gemein­wohl­orientierte Akteur*innen führt nicht auto­matisch zu deutlich günstigeren Gewerbe­mieten, doch ist eine abgestimmte und kosten­effiziente Planung zwischen Bauherr*innen und späteren Nutzer*innen leichter umsetzbar. Das gilt ebenso für den Bereich gewerb­liches Wohnen bzw. den Sonder­bereich des Träger­wohnens.

Besondere Formen des Gemein­schafts­wohnens

Es gibt großen Bedarf an Sonder­wohn­formen. Viele Menschen wünschen sich verschie­dene Gemeinschafts­wohn­formate mit ganz unterschied­lichen Standards. Beispiels­weise sind über den landes­eigenen Akteur STATTBAU und deren Projekt „Netz­werk­agentur Generationen­Wohnen“ etliche Gruppen als sogenannte „Wohntische“ organisiert, die alle nach einer Umsetzung ihrer Projekt­ansätze suchen. Die LWU können den oft sehr indivi­duellen Ansprüchen im Rahmen ihrer Förder­bedingungen kaum entsprechen, zumal die Belegung der Wohnungen entsprechend zur Kooperations­vereinbarung bei ihnen diskriminierungs­frei und damit anonym durchgeführt werden muss. Das schließt aus, dass spätere Nutzer*innen schon früh in Planungs­prozesse einbezogen werden können. Anders bei privaten gemein­wohl­orientierten Akteuren. Hier könnten schon in der Planungs­phasen verbind­liche Koopera­tionen entstehen, die dazu führen, nachge­fragte besondere Wohn­formen ziel­gerichtet entstehen zu lassen.


1 Mit landeseigenen Wohnungunternehmen (LWU) sind gemeint: degewo, Gesobau, Gewobag, HOWOGE, Stadt und Land, WBM. Im Prinzip gehört auch die Berlinovo, allerdings gilt die Kooperationsvereinbarung zwischen dem Land Berlin und den LWU nur für die „klassischen Wohnungsbestände“ der Berlinovo.

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Modellprojekt in Gefahr – Schneller Bauen auf dem Rathausblock/Dragonerareal mit gemeinwohlorientierten Privaten (Genossenschaften):

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26. September 2024

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