Werden die Läden verdrängt, sterben die Kieze
Innerstädtische Gewerbeflächen werden je nach Lage von den Eigentümer*innen teils mit extremen Mietsteigerungen belastet. Dieser Teil des Immobilienmarktes im Bestand ist gänzlich ohne Regulierung – auch in Milieuschutzgebieten. Im sich seit vielen Jahren anheizenden Markt ist deshalb Verdrängung leider häufig zu beobachten. Gerade in den mit einer sozialen Erhaltungssatzung belegten Kiezen, sind die Läden identitätsprägender Bestandteil der Stadt, die von vielen als ihre Heimat verstanden wird. Verdrängung wird hier als Zerstörung der lebenswerten Stadt wahrgenommen.
Initiativen mit Gewerbeschutz-Agenda
Im Bezirk gibt es etliche Initiativen, die sich aktiv für den Erhalt von nahversorgenden kleinen Läden oder sonstigen Gewerben (vom Späti bis zur Schreinerei) und für soziale Einrichtungen (von der Kita bis zum Seniorentreff) einsetzen. Auch von Seiten des Bezirks und sogar von der Landesregierung werden immer wieder Ansätze erarbeitet, wie ein wirksames Instrument für einen effektiven Schutz fürs Kleingewerbe in den Kiezen aufgestellt sein könnte. Keimzellen der Bewegung in den letzten Jahre waren die Kreuzberger Initiativen „Bizim Kiez“, „Ora Nostra“ und „GloReiche Nachbarschaft“, die neben etliche anderen Initiativen über das „NaGe-Netz“ zusammenarbeiten, wo sie gemeinsam Kampagnen zur Abwehr von konkreten Verdrängungsprozessen koordiniert haben (z.B. seit 2020 die „Volle Breitseite aus Kreuzberg“-Kampagne zum Erhalt der Kiezbuchhandlung „Kisch & Co“.
Kooperation mit Politik
Die Berliner Senatsverwaltung der Justiz hat schon zwei Anläufe gestartet, eine Reform für ein Gewerbemietrecht (das als solches bisher gar nicht definiert ist) über Bundesratsinitiativen in die Bundesgesetzgebung einzubringen. Die Berliner Initiativen waren in hinführende Beratungsprozesse involviert. Der Bundesrat hat den Entwurf sogar angenommen, doch er wird von der Bundesregierung (aus CDU/CSU & SPD) nicht aufgegriffen und es ist kein Gesetzesentwurf in Arbeit, mit dem auf den von den Kommunen und Ländern geäußerte Schutzbedarf eingegangen würde.
Schutz-Instrumente sind auch auf kommunaler Ebene möglich
In Deutschland gibt es von einigen Kommunen Modelle zur Steuerung der Gewerbeansiedlung. Es gibt dabei zwei Ansätze: a) Einschränken von übermäßiger Zusammenballung (z.B. von störendem Gewerbe); b) bewusstes Ansiedeln von bestimmten Branchen im Sinne der Wirtschaftsförderung. Beides ist darauf beschränkt, neue Gewerbeansiedlungen zu regulieren.
Im Fall der Einschränkung gibt die Baunutzungsverordnung die Möglichkeit, die Ansiedlung weiterer Gewerbe zu verbieten, „wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind“.
Wirtschaftsförderung hingegen bezieht sich oft auf Neubau-Projekt und darf grundsätzlich nie konkrete einzelne Unternehmen befördern.
Beide Instrumente sind aber auf den Moment der Neu-Ansiedlung von Gewerben beschränkt und leider gibt es bisher kaum Ansätze, mit denen bestehende Gewerbe vor Verdrängung geschützt werden könnten.
Baustelle mit neuere Relevanz in der Corona-Krise
Mit dieser kooperativen Baustelle möchten wir die Diskussion über Möglichkeiten lebendig halten und permanent daran erinnern, dass wir Kiez-typische Gewerbe in den Straßen wollen und brauchen.
Insbesondere während der langen Lockdown-Zeiten, in denen viele Läden überhaupt keine oder nur sehr eingeschränkte Umsätze machen konnten, sind die gewerbebasierten Existenzen extrem belastet und teils überfordert. Unter diesen Umständen sind auch existenzsichernde Hilfsprogramme als dringende Instrumente anzusehen, mit denen die Gewerbe in der Stadt gehalten werden können.